03/09/2004 – Hamburger Abendblatt / Ralf Nehmzow
VERGEWALTIGUNG Potenzielles Opfer sollte im Prozess sagen, ob es einen Orgasmus hatte.
Die Frage, wie weit Verteidiger in einem Prozess um eine Vergewaltigung gehen dürfen, entzweit derzeit Juristen: Anlass ist ein aktuelles Verfahren gegen einen Promoter und Dressman, der laut Anklage zwei Frauen vergewaltigt haben soll. Die Frage, die für Aufregung sorgt: „Hatten Sie dabei einen Orgasmus?“, wollte Verteidigerin Christiane Yüksel (39) von einer der betroffenen Frauen wissen.
Die Staatsanwaltschaft ist über diese rüde Art der Befragung empört. Heute soll das Urteil ergehen.
„Die Verteidigung hat die Grenzen des Anstandes überschritten. Das sprengt alles, was ich in solchen Fällen je erlebt habe“, rügte Ende vergangener Woche Oberstaatsanwältin Ilse Kahnenbley(45) in ihrem Plädoyer die Verteidigerin. Was den beiden Zeugen durch die Befragung der Verteidigung widerfahren sei, könne man nur als „abstoßend, widerwärtig und menschenverachtend“ bezeichnen, so die Anklägerin. Sie forderte für den Angeklagten Alireza A. (29) fünfeinhalb Jahre Haft.
Die Verteidigung sieht indes Widersprüche in den Aussagen der beiden Frauen und plädierte gestern auf Freispruch, im Zweifel für den Angeklagten. Gestern nun nannten Verteidigerin Yüksel und ihr Kollege Udo Jacob die Angriffe der Anklägerin „unwürdig. Verteidiger sind als Organe der Rechtspflege verpflichtet, die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage zu stellen“, meinte Anwältin Yüksel. „Darf man bei Frauen, die behaupten,vergewaltigt worden zu sein, nicht hinterfragen?“ Wenn nein, würde man „ein Sonderstrafrecht“ schaffen. Dem Gericht warf sie vor, Beweismittel nicht ausgeschöpft zu haben und voreingenommen zu sein.
Verteidigerin Yüksel führte unter anderem für die Unschuld ihres Mandanten ins Feld, dass eine der Frauen ihrer besten Freundin nach dem Vorfall gesagt habe:„Der Angeklagte hat mich mit Worten zum Geschlechtsverkehr veranlasst.“ Yüksel:„Bequatschen fällt noch nicht unter den Begriff Vergewaltigung.“ Die Frauen hatten indes vor Gericht ausgesagt, dass sie gegen ihren Willen zum Sex gezwungen worden seien. Seine Kollegin Yüksel habe die Zeugin mit der Frage nach dem Orgasmus nicht beleidigt, meinte Co-Verteidiger Jacob. „Das ist natürlich keine schöne Frage“,räumte er ein. Da es im Prozess hieß, dass die eine der beiden Frauen beim Geschlechtsverkehr nicht „angespannt“ gewesen sei, sei auch nicht auszuschließen, dass „sie einen Orgasmus hatte“, fiel Yüksel noch ein. Der Angeklagte sagte, er habe die Frauen zufällig kennen gelernt, sie seien einverstanden mit dem Sex gewesen. Die Frau, die von Yüksel nach einem Orgasmus befragt wurde, habe bei dem Date in ihrer Wohnung Kerzen angezündet und Bikini-Fotos gezeigt. „Ich möchte nur sagen,dass ich unschuldig bin“, betonte der Angeklagte gestern.
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